Trotz fortschreitender technischer Entwicklung ist es bis heute nicht gelungen, Kunststoffabfälle umfassend zu recyceln. Vor allem bei Mischkunststoffen stößt das mechanische Recycling nach wie vor an seine Grenzen. Vor allem können Kontaminationen bei mechanischen Prozessen nicht entfernt werden. Das schließt unter anderem den Einsatz in Produkten mit Lebensmittelkontakt aus. Zudem verliert das Material nach mehreren Recyclingprozessen seine Eigenschaften. Seit mehreren Jahren wird nun chemisches Recycling als Lösung dieses Problems ins Spiel gebracht.
Dabei ist es etwas problematisch, von dem chemischen Recycling zu sprechen. Es ist eigentlich ein Sammelbegriff für eine Reihe von Verfahren zur Depolymerisation von Kunststoffen. Dabei werden die Kunststoffabfälle sozusagen in ihre Grundbausteine zerlegt, um daraus neue Kunststoffe herzustellen.
Ein aktueller Bericht des Nova-Instituts hat insgesamt 103 Technologien identifiziert. Sie stammen aus den Bereichen Pyrolyse, Gasifizierung, Solvolyse, Dissolution und Enzymolyse.
Zu den Verfahren der thermischen Depolymerisation gehören Verfahren der thermischen Spaltung. Dabei werden Kunststoffe unter Zuführung sehr hoher Temperaturen und Druck in einzelne Moleküle zersetzt. Den entscheidenden Unterschied macht dabei der Sauerstoff. Kommt Sauerstoff zum Einsatz, spricht man von Gasifizierung. Dabei werden mit hohem Druck bei Temperaturen von etwa 1.300 bis 1.500 Grad Celsius Synthesegase erzeugt. Bei der Pyrolyse hingegen werden unter Luftabschluss Kohlenwasserstoffe bei Temperaturen von etwa 550 bis 1.100 Grad Celsius zu Pyrolyseöl zersetzt. Die hohen Temperaturen lassen bereits ahnen, dass die Verfahren einen erheblichen Energiebedarf haben.
Die Produkte aus der Pyrolyse können direkt wieder zu neuen Kunststoffen verarbeitet werden. Das Synthesegas aus der Gasifizierung muss hingegen verschiedene Reinigungsstufen durchlaufen, da im Gas zahlreiche Verunreinigungen enthalten sind. Zudem fallen bei beiden Verfahren Reststoffe an, die entsorgt werden müssen.
Bei der chemischen Depolymerisation (Solvolyse) werden Kunststoffpolymere durch chemische Vorgänge bei Temperaturen von 150 bis 400 Grad Celsius unter Zuhilfenahme von Reagenzien chemisch aufgespalten. Dadurch werden die Kunststoffe gereinigt, ohne dass sie sich komplett zersetzen. Auch hier fallen im Verfahren Reststoffe an.
Ein Sonderfall sind die lösemittelbasierten Verfahren (Dissolution). Dabei handelt es sich streng genommen nicht um ein chemisches Recycling. Die chemische Struktur der Kunststoffe bleibt hier unberührt. Das Material wird in Lösemittelbädern von bestimmten Additiven gereinigt. Das können Farbstoffe oder sonstige Additive, aber auch andere Polymere sein. Allerdings ist für die Dissolution ein relativ homogener Input notwendig.
Bei der Enzymolyse werden verschiedene Arten von Biokatalysatoren eingesetzt, um die Polymere in ihre Bausteine zu zersetzen. Allerdings befindet sich die Technologie noch in einem frühen Entwicklungsstadium.
Einige dieser Verfahren sind hingegen schon Jahrzehnte alt. Da setzt auch ein Kritikpunkt an: Warum soll etwas, das bisher nicht in einem industriellen Maßstab funktioniert hat, nun funktionieren? Unklar sind auch Fragen bezüglich des Energieverbrauchs und der Umweltauswirkungen. Dies liegt nicht zuletzt daran, weil sich die Nutzer der Technologien zu diesen Themen relativ bedeckt halten. Als problematisch gilt auch die geringe Effizienz der Verfahren. Der Anlagenbetrieb gilt gemeinhin als sehr komplex.
Mit den Verfahren sollen Kunststoffabfälle behandelt werden, die für das mechanische Recycling nicht geeignet sind. Ganz so einfach ist es nicht: Denn je nach Verfahren müssen sehr spezifische, heterogene Eingangsmaterialien verwendet werden. Zudem ist auch nicht jedes Verfahren für jedes Polymer geeignet. Hier besteht durchaus die Gefahr, dass ein Wettbewerb um besonders attraktive Fraktionen entsteht.
Allerdings besteht grundsätzlich die Möglichkeit, Kunststoffabfälle, die heute thermisch verwertet werden, einem chemischen Recycling zuzuführen. Zudem ist es leichter als beim mechanischen Recycling, Schadstoffe auszuschleusen. Damit besteht die Möglichkeit, mehr Material für den Einsatz mit Lebensmittelkontakt zu verwenden. Beim mechanischen Recycling ist dafür derzeit nur recyceltes PET zugelassen.
Interessant ist auch die Frage, inwieweit das chemische Recycling auf die zu erfüllenden Recyclingquoten angerechnet werden kann. Nach der Definition im Kreislaufwirtschaftsgesetz müsste der Output aus dem chemischen Recycling dann quotenrelevant sein, wenn er wieder in einem Produkt eingesetzt wird. Wird das Endprodukt aber als Brennstoff genutzt, ist es kein Recycling im Sinne des Kreislaufwirtschaftsgesetzes. Noch etwas enger ist die Definition im Verpackungsgesetz. Sie sieht das Ersetzen von stoffgleichem Neumaterial oder eine weitere stoffliche Nutzung vor. Ob das chemische Recycling diese Anforderungen erfüllt, ist zumindest strittig. Sollten sich die Verfahren weiter etablieren, ist hier auf jeden Fall eine entsprechende gesetzliche Klarstellung notwendig.
Die petrochemische Industrie ist von der Kritik weitgehend unbeeindruckt. Sie investiert massiv in Anlagen für die neuen Technologien. Und zunehmend kooperieren sie dabei auch mit der Entsorgungswirtschaft. Welche Verfahren sich tatsächlich durchsetzen werden, bleibt dabei abzuwarten. Vermutlich wird das chemische Recycling auch in einigen Jahren immer noch eine Reihe von verschiedenen Technologien umfassen.
Bis dahin wird die Debatte über den Sinn und Unsinn des chemischen Recyclings hoffentlich weniger hitzig geführt als heute. Wenn man die Verfahren nicht als Alternative, sondern als Ergänzung zum mechanischen Recycling sieht, haben sie durchaus ihre Berechtigung. Sie müssen sinnvoll da eingesetzt werden, wo das mechanische Recycling an seine Grenzen gerät. Das wird aber vermutlich ohne entsprechende Regelungen nicht funktionieren. Denn gerade in der Abfallwirtschaft regelt der Markt es meistens nicht selbst. Klar ist auf jeden Fall auch: Das chemische Recycling ist auf jeden Fall eine Alternative zur thermischen Verwertung – wenn als Produkt nicht nur Brennstoff entsteht.
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Quelle: RECYCLING-TECHNIK Dortmund
Autor: Michael Brunn